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Altenpflegebarometer 2022 - Interview mit Bernhard Schneider

Die Ergebnisse des diesjährigen Altenpflegebarometer 2022 wurden in der vergangenen Woche auf der Altenheim EXPO in Berlin vorgestellt. Eine Videoaufzeichnung der Eröffnung und die Vorstellung des diesjährigen Altenpflegebarometers finden Sie hier: https://www.altenheim-expo.net/#video

Wir wollten mal genauer nachfragen und konnten in einem Interview mit dem Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, Bernhard Schneider, über die Ergebnisse sprechen.

Altenpflegebarometer 2022 - Interview mit Bernhard Schneider

Wie zufrieden sind Sie mit den diesjährigen Ergebnissen?

Bernhard Schneider: Es stimmt mich zuversichtlich, dass sich so viele Kolleginnen und Kollegen daran beteiligt haben. Es weht ein starker, frischer Wind durch die Pflegebranche, wir brauchen dringend grundlegende Reformen und das Barometer zeigt, dass wir uns in den wichtigsten Punkten einig sind und an einem Strang ziehen. Das ist eine gute Nachricht nach zwei Jahren Pandemiemanagement.

Die Situation der Altenpflege hat sich weiter verschlechtert. Wo liegt aus Ihrer Sicht der Hauptgrund für die Verschlechterung?

Bernhard Schneider: Nun, es ist nicht alles schlechter. Die wirtschaftliche Situation ist trotz Corona im Vergleich zu anderen Branchen recht erfreulich. Die großen Sorgen sind aber nach wie vor die angespannte Personalsituation und die davongaloppierenden Eigenanteile. Und es fehlt der Branche an Vertrauen in Gesundheitsminister Lauterbach. Es glaubt kaum jemand daran, dass er die dringend notwendigen Reformen auf den Weg bringen kann – ein sehr schlechtes Zeichen.

Welche politischen Maßnahmen wurden in den letzten zwei Jahren ergriffen, um die Situation zu verbessern?

Bernhard Schneider: Jens Spahn hatte in seinem Entwurf zur Reform der Pflegeversicherung den richtigen Plan, doch daraus ist leider nichts geworden. Der GVWG als kleine Pflegereform mit dem Tariftreuegrundsatz und dem Personalbemessungssystem ist an sich eine gute Sache. Doch solange die Finanzierungsfrage nicht geklärt ist, führen all diese Verbesserungen dazu, dass die Eigenanteile der Pflegebedürftigen steigen. Das ist ungerecht und führt in die Zwickmühle.

Der Fachkräftemangel ist und bleibt ein eklatantes Problem der Branche. Welche Maßnahmen ergreifen Sie in der Evangelischen Heimstiftung, um den Personalmangel zu lindern?

Bernhard Schneider: Wir bieten gute Arbeitsbedingungen an, zahlen faire Gehälter, bilden konsequent aus, setzen auf ein positives Klima und engagieren uns in Nachhaltigkeits- und Zukunftsprojekten. Auf lange Sicht reicht das aber nicht aus – wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Pflegeversicherung, damit die Verbesserungen wie mehr und besser bezahltes Personal nicht mehr von den Pflegebedürftigen bezahlt werden, sondern auch von der Pflegeversicherung. Nur so schaffen wir es, das Image der Pflege langfristig zu verbessern und den Beruf zu stärken.

Ein Hoffnungsschimmer ist die große Pflegereform. Würden Sie uns kurz erzählen, was diese Pflegereform beinhaltet und an welcher Stelle sie wen entlasten kann?

Bernhard Schneider: Wir erarbeiten derzeit in der bundesweiten Initiative Pro-Pflegereform ein umsetzbares Reformkonzept, gemeinsam mit Prof. Dr. Heinz Rothgang und seinem Team vom SOCIUM Bremen. Das oberste Gebot: Bis 2025 müssen Pflegebedürftige und Angehörige spürbar finanziell entlastet und Pflegende gestärkt werden.
Dafür werden wir ein Sofortprogramm vorschlagen, mit kurzfristig zu realisierenden Maßnahmen, etwa der Sockel-Spitze Tausch, die schnellere Umsetzung des Personalbemessungssystems oder die Verlagerung der Behandlungspflege in die Krankenversicherung.
Wir erarbeiten aber auch ein Langfristprogramm, das aufzeigt, wie die ambulante Perspektive stärker eingebunden werden kann und wann weitere Bausteine wie die Aufhebung der sektoralen Fragmentierung, das Pflegegeld 2.0 oder das Drei-Instanzen-Modell stufenweise zu einer großen Pflegereform zusammengeführt werden können.

Hinsichtlich des neuen Bundesministers Karl Lauterbach gehen die Meinungen der Befragten im Barometer auseinander. 58% denken, dass er explizit im Pflegebereich nicht die nötige Erfahrung mitbringt. Was würden Sie unserem Gesundheitsminister mit auf den Weg geben? Was wünschen Sie sich als Verantwortlicher von ihm?

Bernhard Schneider: Minister Lauterbach muss das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen und eine interdisziplinäre Regierungskommission Pflege einberufen. Er muss fundierte Lösungen anbieten und den Mut und die Weitsicht zeigen, die große Pflegereform umzusetzen. Doch bisher zeigt er sich leider eher orientierungslos: Er konnte keine Regierungsmehrheit für die Impfpflicht organisieren, er hat keinen greifbaren Plan für den anstehenden Coronaherbst von der Deckelung der Eigenanteile ganz zu schweigen. Das muss sich dringend ändern, sonst verliert er endgültig den Rückhalt in der Branche, und den wird er brauchen.

Ein Lichtblick ist die Pflegereform 60% der „Kenner“ befürworten die Pflegereform. Leider kennen 53% der Befragten die Pflegereform nicht. Wie wollen Sie der Pflegereform die nötige Geltung verschaffen?

Bernhard Schneider: Es ist schon bemerkenswert, dass über die Hälfte der Befragten die Initiative Pro-Pflegereform und unser Konzept kennen. Und auch bei den anderen sehen wir die Zustimmung zu den einzelnen Reformbausteinen deutlich – dass sie diese nicht mit der Initiative in Verbindung bringen, ist unerheblich. Wenn uns die große Pflegereform gelingen soll, dann nur gemeinsam. Wir werden weiterhin mit Aktionen und öffentlichen Kampagnen dafür werben und uns mit den Unterstützern politisch und gesellschaftlich dafür einsetzen, dass der Paradigmenwechsel endlich passiert.

Die gesamte Studie zum Altenpflegebarometer finden Sie hier:

Studie Altenpflegebarometer